Landeskorrespondenz
(Presseaussendung vom 2.10.2019)
Die Gedenkfeier für die in den Jahren 1940 bis 1944 in Hartheim ermordeten Menschen findet alljährlich am 1. Oktober statt. Der 1. Oktober steht symbolisch für den Beginn der NS-Euthanasie – Adolf Hitler verfasste seinen „Gnadentoderlass“ Anfang Oktober 1939. Dieser markiert den Beginn der Ermordung von psychisch kranken und behinderten Menschen im Dritten Reich und jährt sich heuer zum 80. Mal.
Zahlreiche Ehrengäste, darunter Angehörige und Nachkommen von Opfern der NS-Euthanasie sowie diplomatische Vertreter aus 18 Ländern – unter ihnen sieben Botschafterinnen und Botschafter – fanden sich im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim ein, um der rund 30.000 Opfer zu gedenken. Insgesamt nahmen mehr als 170 Personen an der Veranstaltung teil.
Nach der Begrüßung durch die Obfrau des Vereins Schloss Hartheim, Konsulentin Dr.in Brigitte Kepplinger, betonte Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer die Bedeutung des Gedenkens an die Verbrechen und ihre Opfer in Hartheim. Oberösterreich war Ort von Massenverbrechen während der NS-Zeit und auch Heimat von Täterinnen und Tätern – daraus leite sich die Verantwortung ab, die Ereignisse aufzuarbeiten und der Opfer zu gedenken. Die Zweite Republik und das Land Oberösterreich wurden laut Landeshauptmann Mag. Stelzer im Jahr 1945 als „aktiver Gegenentwurf zum Nationalsozialismus“ begründet. Dieser Auftrag werde auch heute noch wahrgenommen. So wird beispielsweise derzeit die Ausstellung „Wert des Lebens“ im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim aus Mitteln des Landes Oberösterreich neu gestaltet. Die Eröffnung soll im Frühjahr 2020 erfolgen.
Die Gedenkrede hielt anschließend der Rektor der Johannes Kepler Universität Univ.-Prof. Dr. Meinhard Lukas. In eindrücklichen Worten erinnerte er an die Zeit, in der Menschen, die von der gesellschaftlichen Norm abwichen nur mehr als Kostenfaktoren betrachtet wurden. Ihnen wurden die Würde und das Recht auf das Leben abgesprochen. Die anhaltende aktuelle Relevanz dieser historischen Ereignisse zeigte Rektor Dr. Lukas anhand persönlicher und familiärer Bezüge zu den Themen Behinderung und Krankheit auf. Er wandte sich gegen eine „bequeme Nie-wieder-Rhetorik“ und betonte: „Wer sich nur im historischen Frame des Nationalsozialismus bewegt und sich redegewandt davon distanziert, mag sich die undankbare Auseinandersetzung mit den sozialen Wunden der Gegenwart ersparen.“ Rektor Dr. Lukas stellte auch die Frage „wie Landsleute, wie Vorfahren an diesem Ort zu Massenmördern, Beitragstätern, Ermöglichern oder Wegsehern, also schlicht zu Unmenschen wurden. Wie konnte sich auf ihrem Gewissen, ja ihrer Seele eine Hornhaut aufbauen, an der das schlimmste Leid abprallte, obwohl sie zugleich liebevolle Familienväter, gefühlvolle Freunde und gläubige Kirchgänger waren? Schlummert dieser Dämon auch in uns, in unserer Gesellschaft?“ Um ein Lernen aus der Geschichte ernst zu nehmen solle man auf die „winzig kleinen und weniger kleinen Schritte, die heute getan werden“ achten, auf die zunehmende Verrohung der Sprache im Miteinander und im politischen Diskurs. Hass im Netz, das Infragestellen von Menschenrechten auch durch Politiker und Angriffe auf die Menschenwürde bestimmter Gruppen seien aktuelle Bedrohungen unserer Demokratie und Verfassung. Zum Abschluss stellte Rektor Dr. Lukas fest, „dass unser Umgang mit den schutzbedürftigen Menschen etwas darüber aussagt, was wir selbst als Menschen sind.“
Im Anschluss wurden auf dem Friedhof der Opfer, der sich auf der Ostseite des Schloss befindet, von Vertretern der katholischen und der evangelischen Kirche Gebete gesprochen. Darauf folgte die Kranzniederlegung. Die diplomatischen Vertreter aus 18 verschiedenen Ländern, die Kränze am Grabmal niederlegten, zeigten auf eindrucksvolle Weise den Stellenwert Hartheims als europäischer Erinnerungsort.
Für die musikalische Gestaltung der Gedenkfeier sorgte die Gruppe „Chor singa. inklusives singen“ des Instituts Hartheim. Die Gruppe umfasst Menschen mit und ohne Behinderungen, die gemeinsam singen und musizieren.
Zum Ort und seiner Geschichte:
In Schloss Hartheim in Alkoven (OÖ) war von 1940 – 1944 eine NS-Euthanasieanstalt untergebracht, in der nahezu 30.000 Menschen ermordet wurden. Sie waren teils Bewohner von Heil- und Pflegeanstalten sowie Betreuungseinrichtungen, teils arbeitsunfähige KZ-Häftlinge aus den Lagern Mauthausen, Gusen, Dachau und Ravensbrück sowie ZwangsarbeiterInnen.
1995 wurde der Verein Schloss Hartheim gegründet, dessen Ziel es war, in Schloss Hartheim einen angemessenen Ort der Erinnerung, des Gedenkens und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu schaffen. Im Jahr 2003 wurde aus Mitteln des Landes OÖ und des Bundes mit der Gedenkstätte und der Ausstellung „Wert des Lebens“ der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim errichtet.