Die Europäische Union

Die Europäische Union mit ihren 27 Mitgliedstaaten ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Entwicklungsprozesses, der von vorsichtigen Anfängen ausgehend eine stetig steigende Zusammenarbeit von europäischen Staaten mit sich brachte. So sind auch ihr Gefüge und ihre Organisationsstrukturen vielschichtig und weisen sowohl Elemente einer "Internationalen Organisation" als auch staatliche Elemente auf.

 

 

Gründungsphase der Europäischen Gemeinschaften

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde vor allem auf Initiative von drei Staatsmännern, Konrad Adenauer (D), Robert Schuman (F) sowie Alcide Degasperi (I), überlegt, wie man bewirken könne, dass sich die europäischen Staaten nicht wie in den Jahrhunderten zuvor feindlich gegenüber stehen.
Nach damaligem Verständnis benötigte man u. a. zur Kriegsführung zwei Grundstoffe: Stahl (um Waffen zu erzeugen) und Kohle (um den Stahl zu produzieren). Durch die gemeinsame Verwaltung dieser Materialien versprach man sich einen ersten Schritt zur Friedenssicherung. So gründeten am 23. 7. 1952 sechs Staaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg) zunächst die "Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl" (EGKS; EGKS-Vertrag), deren Laufzeit auf 50 Jahre angelegt war.

Nach einem vergeblichen Versuch, bereits Mitte der 50er-Jahre auch die außenpolitische Zusammenarbeit dieser sechs europäischen Staaten zu schaffen, wurde im März 1957 in Rom ein neues Kapitel der europäischen Integration aufgeschlagen.

Der Ansicht folgend, dass Staaten mit engen wirtschaftlichen Verflechtungen auch an einem friedlichen Zusammenleben interessiert sind, um nicht ansonsten auch die eigene Wirtschaft  zu treffen, wurde zum einen der Vertrag über die "Europäische Wirtschaftsgemeinschaft" (EWG; EWG-Vertrag) abgeschlossen. Darin waren weitreichende Konsequenzen wie die schrittweise Einführung eines gemeinsamen Marktes, einer Zollunion, einer gemeinsamen Landwirtschaftspolitik und des gemeinsamen Außenhandels vorgesehen.

Zum anderen erkannten die Staaten auch die Notwendigkeit, im Bereich der friedlichen Nutzung der Kernenergie, die es als neue Technologie noch zu erschließen galt, zusammenzuarbeiten. Es wurde die Europäische Atomgemeinschaft (EAG; EAG-Vertrag) gegründet.
Gründungsdatum dieser beiden Gemeinschaften, die im Gegensatz zur EGKS keine zeitliche Begrenzung haben sollten, ist der 1. Jänner 1958.

Als handelnde Organe der EGKS wurden die "Hohe Behörde" (Verwaltung) und ein "Rat" als Entscheidungsforum der Mitgliedstaaten, die sogenannte "Versammlung", in der Parlamentarier der Mitgliedstaaten beratend tätig waren, sowie der Gerichtshof installiert. Die Versammlung beschloss selbst in der Folge ihre Umbenennung in "Europäisches Parlament".
Bei der EWG und der EAG wurden die Kommission (vergleichbar der Hohen Behörde) sowie ebenfalls der Rat, die Versammlung und der Gerichtshof als Organe eingesetzt.
1967 wurden die Organe der 3 Gemeinschaften fusioniert, was nicht nur zu einem einheitlicheren Erscheinungsbild, sondern auch zur Steigerung der Effizienz und der Synergien führte.

Der Vertrag von Lissabon

Der EU-Vertrag - Ein großer Fortschritt zu einer handlungsfähigeren und demokratischeren Europäischen Union

Die Staats- und Regierungschefs haben 2007 einen neuen EU-Vertrag angenommen, der die Union demokratischer und effizienter machen soll. Er wurde am 13. Dezember 2007 unterzeichnet und wurde bis November 2009 von den Mitgliedstaaten ratifiziert. Er trat am 1. Dezember 2009 in Kraft.

Der Reformvertrag änderte nicht alles in der EU, sondern überarbeitet die bestehenden EU-Verträge, nämlich den Vertrag über die Europäische Union und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, welcher in "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) umbenannt wurde.

Die wichtigsten Regelungen des AEUV

Mehr Demokratie in Europa

Mit dem Vertrag von Lissabon wurden die Rechte des Europäischen Parlaments erheblich ausgeweitet. Das Parlament erhielt in beinahe allen Bereichen der gemeinschaftlichen Gesetzgebung ein Mitentscheidungsrecht dadurch wurde seine politische Rolle erheblich gestärkt. So hat das Parlament in ganz entscheidenden Bereichen wie etwa der Justiz- und Innenpolitik jetzt mehr Mitspracherecht. Insgesamt umfasst das EU-Parlament nach dem Austritt Großbritanniens nur noch 705 (inkl. Parlamentspräsident) Sitze, wobei das Gewicht kleinerer und mittelgroßer Länder gestärkt wurde. Österreich ist dzt. mit 19 Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten.

Die Charta der Grundrechte wurde rechtlich verbindlich. Menschenrechte, Grundrechte für Ältere, Kinder und Familien sowie die sozialen Grundrechte können nun auch vor dem Europäischen Gerichtshof geltend gemacht werden.

Eine neue Form des europäischen Bürgerbegehrens bringt ein Mehr an unmittelbarer Demokratie und Mitgestaltungsmöglichkeit für die Bürger. Aber auch die nationalen Parlamente werden aufgewertet und erhalten ein direktes Mitspracherecht im europäischen Gesetzgebungsprozess.

Eine handlungsfähigere Union

Für die Entscheidungsfindung im Rat der Europäischen Union gilt eine neue Regel, das Prinzip der doppelten Mehrheit. Dies bedeutet, dass 55 Prozent der Mitgliedstaaten und 65 Prozent der EU-Bevölkerung hinter einem EU-Gesetzgebungsvorschlag stehen müssen, damit dieser mit qualifizierter Mehrheit angenommen wird. Zudem werden Entscheidungen im Rat häufiger als bisher mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden können. Ein Präsident des Europäischen Rates leitet die Sitzungen des Staats- und Regierungschefs und bereitet diese vor. Er wird für zweieinhalb Jahre gewählt.

Ein Hoher Repräsentant der EU für Äußere Angelegenheiten und Sicherheitspolitik vertritt die Europäische Union nach außen. Dieser  "Außenminister" ersetzt den gegenwärtigen Repräsentanten für Außenpolitik und den Kommissar für Außenbeziehungen und gehört der Europäischen Kommission als Vizepräsident an. Er wird von einem Auswärtigen Dienst der EU in dem Ratssekretariat, die Europäische Kommission und Diplomaten der nationalen auswärtigen Dienste im Team zusammenarbeiten, unterstützt. Der Hohe Vertreter leitet überdies den Ministerrat für auswärtige Beziehungen. Er soll auch EU-Positionen im Sicherheitsrat der UNO erläutern.

Klare Zuständigkeiten

Der  Vertrag von Lissabon bringt eine klarere Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten. Erstmals gibt es eine genaue Zuordnung dieser Zuständigkeiten. So wird klargestellt, dass öffentliche Dienstleistungen - ob von wirtschaftlichem oder von nicht-wirtschaftlichem Interesse - in die Zuständigkeit der nationalen bzw. regionalen oder lokalen Behörden fallen.

Im Vertrag wird auch erstmals festgehalten, dass die Übertragung von Kompetenzen an die EU keine Einbahnstraße ist, sondern dass sie von den Mitgliedstaaten auch wieder zurückgenommen werden können. Außerdem können die nationalen Parlamente Einwände gegen Vorschläge für neue Bestimmungen erheben, wenn diese ihrer Ansicht nach die EU-Zuständigkeiten überschreiten würden. Grundsätzlich sollen nämlich regionale oder lokale Probleme auch auf diesen Ebenen gelöst werden (Subsidiaritätsprinzip).

Dafür erhält die Europäische Union neue Zuständigkeiten in Bereichen, in denen diese mit einem nachweisbaren Mehrwert tätig werden kann. Die Sicherheit der Energieversorgung und der Kampf gegen den Klimawandel sind so zwei neue Themenbereiche, in denen die Europäische Union mit gemeinsamen Maßnahmen ein Plus für die Menschen erreichen kann.

Werte und Ziele der Union

Die Werte der Union sind in Artikel 2 ausdrücklich verankert:

  • Achtung der Menschenwürde
  • Freiheit
  • Demokratie
  • Gleichheit
  • Rechtsstaatlichkeit
  • Achtung der Menschenrechte und Minderheitenschutz

Diese Werte müssen von allen Mitgliedstaaten in ihrer Gesellschaft verwirklicht werden, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszuzeichnen hat.

Auf die Nennung religiöser Werte wurde in Artikel 2 zwar verzichtet, allerdings spricht die Präambel (feierliche Einleitung) der Verfassung vom religiösen und humanistischen Erbe Europas. Darüber hinaus ist in der Verfassung festgelegt, dass die EU den Status, den Kirchen und religiöse Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten haben, nicht beeinträchtigt.

Oberstes Ziel der EU ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern. Dies soll in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie in einem Binnenmarkt verwirklicht werden.
Weiters zählen Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, eine im hohen Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung, sozialer, wissenschaftlicher und technischer Fortschritt, Umweltschutz, die Bekämpfung von Diskriminierung, die Gleichstellung von Frauen und Männern, Solidarität zwischen den Generationen und der Schutz der Rechte von Kindern zu den Zielen der EU.

Die Charta der Grundrechte

Als bedeutendster Schritt in der Entwicklung von einer stark wirtschaftlich orientierten Union zu einer Werteunion kann die Aufnahme einer 54 Artikel umfassenden Grundrechtscharta im Vertrag von Lissabon angesehen werden, die den Unionsbürgern Rechte wie z. B. den Schutz der Menschenwürde, des Lebens, des Privat- und Familienlebens, der Religions-, Meinungs-, und Versammlungsfreiheit sowie das Erwerbs- und Eigentumsrecht ausdrücklich garantiert.

Zuständigkeiten der EU

Im Vertrag von Lissabon behalten sich die Mitgliedstaaten wie bisher das Recht vor, der EU einzelne Kompetenzen zuzuweisen, die sich im Wesentlichen in drei Kategorien gliedern:

Ausschließliche Zuständigkeit der EU

Darunter fallen Regelungen in den Bereichen:

  • Wettbewerbsrecht
  • Gemeinsame Handelspolitik
  • Zollunion
  • Währungspolitik für die Euro-Staaten
  • Bewahrung der biologischen Meeresschätze

In diesen Bereichen kann grundsätzlich nur die EU Rechtsakte erlassen.

Geteilte Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten

Darunter fallen Regelungen in den Bereichen:

  • Binnenmarkt
  • Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
  • Landwirtschaft und Fischerei
  • Energie
  • Verkehr und transeuropäische Netze
  • Teile der Sozialpolitik
  • Verbraucherschutz
  • Wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt
  • Umwelt
  • Gemeinsame Sicherheitsanliegen im Bereich des Gesundheitswesens

Wenn die EU ihre Zuständigkeit in diesen Bereichen nicht ausübt, verbleibt sie bei den Mitgliedstaaten.

Unterstützende, koordinierende und ergänzende Maßnahmen

Darunter fallen Regelungen in den Bereichen:

  • Industrie
  • Gesundheitsschutz
  • Bildung
  • Jugend
  • Sport
  • Kultur
  • Tourismus
  • Zivilschutz

In diesen Bereichen darf die EU verbindliche Akte nur dann erlassen, wenn diese keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten beinhalten. 

Zwei spezifische Zuständigkeiten der EU werden im Verfassungsvertrag gesondert geregelt:

  • Maßnahmen zur Koordinierung der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik der EU-Mitgliedstaaten
  • die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)

Für das Tätigwerden der EU gilt das Subsidiaritätsprinzip. Demnach wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen nur dann tätig, wenn sie von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend geregelt werden können, sondern die Ziele wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung auf Unionsebene besser erreicht werden können. 

Die Bereiche, die vom Verfassungsvertrag nicht genannt werden, verbleiben in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.

 

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