Der Oö. Landtag hat am 7. Juli 2011 das Landesgesetz, mit dem das Gesetz über die bedarfsorientierte Mindestsicherung in Oberösterreich (Oö. Mindestsicherungsgesetz - Oö. BMSG) erlassen wird, beschlossen und damit im Sinne der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Sozialhilferechts die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung umfassend umgesetzt.
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Umsetzung einer Bedarfsorientierten Mindestsicherung
Das vorliegende Gesetz will im Sinn einer kontinuierlichen Weiterentwicklung des Sozialhilferechts die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung umfassend umsetzen. Bereits mit der Verordnung der Oö. Landesregierung, mit der die Oö. Sozialhilfeverordnung 1998 geändert wird, LGBl. Nr. 52/2010, wurde durch die Angleichung des Leistungsrechts zum 1. September 2010 - noch auf der Basis des Oö. Sozialhilfegesetzes 1998 - ein erster Schritt in diese Richtung gesetzt.
Die angesprochene Vereinbarung bezweckt angesichts des Umstands, dass in den vergangenen zehn Jahren die Anzahl der armutsgefährdeten Menschen kontinuierlich gestiegen ist, die Herstellung eines bundesweit einheitlichen Mindeststandards und harmonisierter landesgesetzlicher Regelungen in der Sozialhilfe.
Auch in Oberösterreich ist der Anteil der sozialhilfebeziehenden Personen seit dem Inkrafttreten des Oö. Sozialhilfegesetzes 1998 zum 1. Jänner 1999 deutlich angestiegen. Nach der vorliegenden Sozialhilfestatistik, mit der jährlich im Oktober oder November Daten zu den sozialhilfebeziehenden Personen in diesem Monat erhoben werden, ist die Zahl der Haushalte, in denen Sozialhilfe bezogen wird, von 1.959 um 82,78 Prozent auf 3.418 angestiegen. Die Zahl der in diesen Haushalten mitunterstützten Personen hat sich von 787 im Jahr 1991 auf 2.572 im Vergleichszeitraum des Jahres 2009 erhöht, was einer prozentuellen Steigerung von 226,8 Prozent entspricht. Als überwiegender Grund für die Inanspruchnahme von Leistungen der offenen Sozialhilfe scheinen nach der Oktober-Erhebung 2009 (2010) auf:
- 55,7 Prozent (51 Prozent) Arbeitslosigkeit
- 21,8 Prozent (19,1 Prozent) Arbeitsunfähigkeit
- 5,3 Prozent (6,3 Prozent) zu geringer Unterhalt
- 11,4 Prozent (14,5 Prozent) zu geringes Einkommen
- 5,9 Prozent (9,1 Prozent) Kinderbetreuung (Arbeit nicht zumutbar)
Neben dem Bezug von Leistungen zum Lebensunterhalt waren im Oktober 2009 2.976 Haushalte (85,3 Prozent) und im Oktober 2010 2.930 (88 Prozent) auf zusätzliche Leistungen zur Deckung des Unterkunftsaufwands angewiesen. 1.775 Personen verfügten im Oktober 2009 über keine Krankenversicherung und mussten im Wege der Selbstversicherung bzw. über die direkte Übernahme von Krankenhilfekosten versorgt werden.
Betrachtet man die durchschnittliche Verweildauer in der Sozialhilfe, so zeigt sich, dass 784 Haushalte (22,9 Prozent) weniger als 6 Monate auf Sozialhilfe angewiesen waren. In 675 Haushalten (19,8 Prozent) wurde Sozialhilfe mehr als 6 Monate aber weniger als 1 Jahr bezogen. Der überwiegende Teil, 1.958 Haushalte (57,3 Prozent), erhielt mehr als 12 Monate Leistungen der offenen Sozialhilfe. Im Oktober 2010 wurden 681 Haushalte (20,5 Prozent) mit einem Sozialhilfebezug von unter 6 Monaten angegeben. 612 Haushalte (18,4 Prozent) bezogen länger als 6 Monate aber weniger als 1 Jahr Sozialhilfe. Die verbleibenden 2.036 Haushalte (61,2 Prozent) standen länger als 1 Jahr in Sozialhilfebezug.
Im Vergleich mit anderen Bundesländern verfügt Oberösterreich (nach den Daten der Statistik Austria) über einen geringen Anteil an sozialhilfebeziehenden Personen an der Gesamtbevölkerung (Sozialhilfestatistik 2008/Bevölkerung zu Quartalsbeginn 4. Quartal 2008):
- Burgenland 0,32 Prozent
- Salzburg 2,00 Prozent
- Wien 5,56 Prozent
- Kärnten 0,38 Prozent
- Steiermark 1,14 Prozent
- Österreich 1,93 Prozent
- Niederösterreich 0,88 Prozent
- Tirol 1,45 Prozent
- Oberösterreich 0,47 Prozent
- Vorarlberg 2,52 Prozent
Mit dem Oö. BMSG soll nun eine Reihe von Änderungen im offenen Sozialhilferecht vorgenommen werden, die einerseits eine Verbesserung des Leistungsniveaus mit sich bringen, andererseits den Fokus auf die (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt richten. Schließlich steht aber auch die Hebung der take-up-Rate im Zentrum, also die Ermöglichung der Inanspruchnahme von Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung für Personen, die zwar einen Anspruch auf Leistungen hätten, diesen aber auf Grund von Zugangsbarrieren nicht geltend machen.
Die wesentlichen Änderungen können zu folgenden Schwerpunkten zusammengefasst werden:
- Besondere Berücksichtigung der Situation der Kinder in sozial schwachen Familien: Diesem Grundgedanken soll durch Normierung eines Prinzips der Chancengleichheit für Kinder und zahlreiche flankierende Maßnahmen im Leistungsrecht und Begünstigungen im Kostenersatzrecht Rechnung getragen werden. Durch eine Überführung des Pflegegeldes für Kinder in fremder Pflege in das Oö. JWG soll eine Gleichstellung dieser Gruppe der leistungsbeziehenden Personen herbeigeführt werden.
- Stärkere Möglichkeit, die hilfesuchende Person bei der Bewältigung der sozialen Notlage zu begleiten: Neben der verstärkten Einbindung der Sozialberatungsstellen sieht das Gesetz auch die Einbeziehung von Expertinnen und Experten zur Abklärung der Ist-Situation und der Einschätzung der Entwicklungsmöglichkeiten vor. Soweit keine Maßnahmen des AMS zur (Re-)Integration von hilfebedürftigen Personen in den Arbeitsmarkt in Frage kommen, soll die Hilfe zur Arbeit in einem größeren Umfang als bisher angeboten werden. Dabei soll individueller auf die jeweilige Situation eingegangen werden können, in dem je nach Bedarf nicht nur eine Betätigung im Rahmen von Arbeitsverhältnissen, sondern auch eine Heranführung an den Arbeitsprozess oder eine Qualifizierung unter dem Titel der bedarfsorientierten Mindestsicherung ermöglicht werden soll.
- Anpassung an aktuelle Familien- und Gesellschaftskonzepte: Im Bereich der Leistungsbemessung soll die bisherige Orientierung am Haushaltsvorstand aufgegeben und eine Gleichbehandlung der Partner vorgesehen werden. Der besonders schwierigen Lebenssituation von alleinerziehenden Personen soll durch eine Verbesserung im Leistungsrecht Rechnung getragen werden. Schließlich sollen Lebenspartnerschaften den Lebensgemeinschaften gleichgestellt werden.
- Harmonisierung mit bundesrechtlichen Systemen zur sozialen Absicherung: Ein zentraler Bestandteil der bedarfsorientierten Mindestsicherung ist die Verknüpfung der Höhe der Mindeststandards mit der Höhe der Ausgleichszulage. Darüber hinaus soll es aber auch zu einer Angleichung an die Kriterien des Arbeitslosenversicherungsrechts zur Frage der Arbeitsfähigkeit oder bei der Beurteilung der Zumutbarkeit kommen. Dadurch soll die Situation von hilfesuchenden Personen, bei denen die Arbeitsfähigkeit zweifelhaft ist, maßgeblich verbessert werden.
- Einbeziehung hilfebedürftiger Personen in die gesetzliche Krankenversicherung: Dadurch soll das bislang - mitunter als stigmatisierend empfundene - Angewiesensein auf einen Sozialhilfe-Krankenschein überholt sein. Leistungsbeziehende Personen verfügen somit gleichfalls über eine e-Card.
- Vorkehrungen zur Stabilisierung nach Überwindung einer sozialen Notlage: Neben der Prävention, der Hilfe zur Selbsthilfe und der Hilfe zur Bedarfsdeckung soll der nachhaltigen Stabilisierung der sozialen Situation ehemaliger Hilfeempfängerinnen und Hilfeempfänger besonders Rechnung getragen werden. Dies geschieht z.B. durch die Schaffung von Vermögensfreibeträgen oder durch Einschränkungen bei den Kostenersatzansprüchen gegen die Empfängerinnen oder Empfänger von Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung.
- Anpassung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen: Um den Zugang zu Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung zu verbessern bzw. zu erleichtern, sollen mehrere Neuregelungen zum Verfahren getroffen werden: So wird insbesondere die zuständige regionale AMS-Geschäftsstelle als zusätzliche Stelle zur Einbringung von Anträgen vorgesehen, die Entscheidungspflicht auf maximal drei Monate verkürzt und ein spezielles Rechtsschutzverfahren bei Fristüberschreitungen normiert. Der unabhängige Verwaltungssenat, der bisher schon bei Rückerstattungs- und Kostenersatzverfahren Berufungsbehörde war, soll generell für zweitinstanzliche Verfahren zuständig erklärt werden.
- Vorkehrungen zur Hintanhaltung von Missbräuchen: Durch eine Neuregelung von Verfahrensbestimmungen wird die Mitwirkungs- und Offenlegungspflicht von hilfesuchenden Personen betont. Die stärkere Vernetzung mit dem AMS und den Krankenversicherungsträgern wird zudem sicherstellen, dass relevante Änderungen den Bezirksverwaltungsbehörden rechtzeitig zur Kenntnis gelangen. Schließlich wird auch klargestellt, dass bei erschlichenen Leistungen jederzeit eine Rückforderung möglich ist - eine Verjährung wird ausgeschlossen.
- Betonung der Sozialplanung als Instrument zur gezielten Armutsbekämpfung: Zur Zeit liegen nur wenige Daten über die Situation von sozialhilfebeziehenden Personen vor. Deshalb soll einerseits eine österreichweit einheitliche "Mindestsicherungs-Statistik" implementiert werden und andererseits die Rolle der Sozialplanung betont werden (z.B. im Hinblick auf eine ausreichende Zahl von Stellen im Rahmen der Hilfe zur Arbeit).
- Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Systempartnern: Generell soll die Zusammenarbeit zwischen den im Bereich der bedarfsorientierten Mindestsicherung tätigen Behörden, Trägern und Einrichtungen intensiviert werden. So ist z.B. die Installierung eines Informationsverbundsystems auf Landesebene oder die Intensivierung des Datenaustausches mit den Krankenversicherungsträgern und dem Arbeitsmarktservice vorgesehen.
- Abgehen von den Kostenersatzverfahren zwischen den Bezirken: Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes soll im Bereich der offenen Sozialhilfe von den sehr verwaltungsaufwändigen Kostenersatzverfahren innerhalb Oberösterreichs abgegangen werden.
Begleitet werden diese Neuregelungen im Bereich des Oö. BMSG durch ein Maßnahmenbündel in den Bereichen der Arbeitslosen-, der Kranken- und der Pensionsversicherung, die auf Bundesseite gesetzt wurden (vgl. insbesondere das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2010, BGBl. I Nr. 63 und die Änderung der "Einbeziehungs-Verordnung", BGBl. II Nr. 262/2010).