Hochwasserschutz unter Beachtung von Umweltsystemen, deren Hierarchie und Nachhaltigkeit

Umweltsysteme bewegen sich vorwiegend zwischen chaotischen (ungeordneten) und komplexen (vielfältig geordneten) Zuständen. Vorhersagen über Umweltgrößen (z. B. Klima, gesellschaftliche Zustände) sind mit großen Unsicherheiten behaftet. Langfristige Entwicklungen sind grundsätzlich irreversibel.

Sich rasch entwickelnde chaotische Phasen des Systems werden von menschlichen Individuen und Gesellschaften als Schicksal oder Katastrophen erlebt. Dabei ist es irrelevant, ob die Umweltentwicklungen Reaktionen des Systems auf menschliches Handeln oder davon unbeeinflusste Entwicklungen sind.

Organismen bewältigen die wechselnden Anforderungen erfolgreich mittels Adaptation und Selbstorganisation. Zusammenhängend mit den Eigenschaften der Organismengruppen werden chaotische Zustände zugunsten komplexer Zustände zurückgedrängt. Dabei ist die Biografie (das "Schicksal") eines Individuums einer Art innerhalb der Entwicklung von Ökosystemen und innerhalb des evolutionären Geschehens letztlich von untergeordneter Bedeutung.

Nachhaltige Entwicklung, ökologische Funktionsfähigkeit
Langfristige Entwicklungsmöglichkeiten für die menschliche Gesellschaft hängen in einem hohen Maße von den funktionellen Leistungen und der Stabilität der Ökosysteme ab.

Hier setzt das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung an. Die im ursprünglichen Ansatz dominierende soziale Komponente (in Richtung jetzt lebender und zukünftiger Generationen von Menschen) ist ohne Akzeptanz der Hierarchie der Systeme (siehe unten!) nicht verwirklichbar.

Die legistische Entsprechung findet sich als "ökologische Funktionsfähigkeit" seit 1985 im österreichischen Wasserrechtsgesetz. Es geht dabei um die "Aufrechterhaltung des Wirkungsgefüges" oder die Erhaltung des "ökologischen Gleichgewichts". Die EU-Wasserrahmenrichtlinie, verbunden mit den Grundsätzen des Amsterdamer Vertrags, verfolgt diesen Weg weiter.

Hierarchie der Systeme
Die Abhängigkeit der Organismengruppen und der diesen zuordenbaren Individuen von den äußeren Bedingungen (Klima, Temperatur, Wasser, Nahrung, etc.) schafft von vornherein eine natürliche Hierarchie der Systeme:

  • Natursystem
  • Gesellschaft
  • Individuum


Raumanspruch als Konflikt
Konflikte zwischen Gesellschaften bzw. Individuen und Umweltsystemen ergeben sich immer dort, wo die Systemhierarchie verletzt wurde oder wird.

Die Betroffenen erleben Hochwässer, Muren und Lawinen als Katastrophen. Die Ursachen liegen aber in nicht oder ohne entsprechende Konsequenzen erkannten Raum-Ansprüchen: Letztlich führen die Nutzung und Besiedlung von Räumen, die ursprünglich dem "Gewässer-, Muren- oder Lawinenkorridor" zuzurechnen sind, zur individuellen und gesellschaftlichen Katastrophe: "Das Wasser etc. war stärker."

Praktisch unlösbar sind die Konflikte, wenn sich die Raumansprüche der Gewässer, Muren und Lawinen plötzlich geografisch ändern und (etwa im Zusammenhang mit der Klima-Änderung) seit Menschengedenken ungefährdete Räume betroffen sind.

Konsequenz im Hochwasserschutz
Der einem naturbelassenen Gewässer zuzurechnende "Flusskorridor" ist über einen längeren, die menschliche Lebensdauer überschreitenden Zeitraum stabil, die einzelnen Elemente (Kanäle) pendeln innerhalb des Korridors. Gerade die dabei entstehende räumliche und zeitliche Heterogenität von Strömung und damit abgelagertem Material (Schotter, Sand, Schlamm) ist Voraussetzung für die Artenvielfalt und die ökologische Funktionsfähigkeit des Gewässers als Ökosystem. Derartige Verhältnisse sind in den dichtbesiedelten mitteleuropäischen Räumen schon lange nicht mehr anzutreffen.

Dabei gelten für die Fließgewässer vier Dimensionen:

  • longitudinal
  • lateral (Aulandschaften)
  • vertikal (Oberflächen- und Grundwasser-Verbindung)
  • zeitlich (abhängig vom Abfluss- und Geschieberegime)

Ein nachhaltiger Hochwasserschutz im doppelten Sinn, also "streng ökologisch" und im Sinne des "rein menschlichen" Schutzzieles erfordert, unabhängig von den die Hochwasserereignisse beeinflussenden Faktoren (Starkregen, Klimaänderung infolge veränderter Sonnenfleckenaktivität, Treibhauseffekt, ...):

  • Die umfassende Kenntnis des Gewässerzustandes und der Gefahren,
  • die Erhaltung und Schaffung eines ausreichend großen Gewässerlaufs einschließlich Rückhalteräumen, also das Akzeptieren des Raumbedarfs des Gewässers,
  • definierte, differenzierte Schutzziele,
  • eine Minimierung von Eingriffen in den Raum und die Landschaft,
  • die Betreuung der Bauwerke (Unterhalt gewährleisten, Schwachstellen prüfen).

Raumbedarf ermitteln:

  • hydraulischer Ansatz: ausgehend von den definierten Schutzzielen (HQ100, HQ30, ...)
  • ökologischer Ansatz: Gewässer und Umland als funktionelle Raumeinheiten, in Vorranggebieten (Naturschutz) Biodiversität
  • Adaptives Management als Lösung

Ein international im Umweltbereich aber auch in anderen Gebieten (Raumplanung, Entwicklung von Richtlinien und Gesetzen) vielversprechender Ansatz ist jener des adaptiven Managements. Dies erleichtert den Umgang mit unvorhersagbaren und einem hohen Grad an Unsicherheit behafteten Situationen.

Dabei gelten folgende Prinzipien:

  • Auseinandersetzung mit Unsicherheit/Unvorhersagbarkeit
  • Problembewältigung muss mit unvollständigem Wissen erfolgen
  • Veränderungen sind systeminhärent
  • Unsicherheit, Unvorhersagbarkeit sind von vornherein integriert
  • Grundsätzlich werden mehrere Lösungsansätze verfolgt
  • "trial and error" fördert Innovationen und Kreativität
  • Offenheit gegenüber gewissem Maß an Risiko
  • Rückkopplungsschleifen als markante Kennzeichen
  • Grundprinzip ist Flexibilität
  • Festlegung von für Entscheidungsträger relevanten Indikatoren
  • Monitoring als integraler Bestandteil
  • Alle Interessensgruppen entscheiden mit Rückkopplungsschleifen bieten Erfolgskontrolle; Indikatoren, Monitoringziele, Pläne etc. müssen kontinuierlich zeitlichen/räumlichen Veränderungen angepasst werden
  • Aus Gelerntem werden zeitgerecht neue Hypothesen, Strategien und Maßnahmen abgeleitet
  • Die individuelle und institutionelle Lernfähigkeit wird gefördert

Wesentlich für eine Gesellschaft, die eine nachhaltige Entwicklung anstrebt, ist es, Rahmenbedingungen für adaptive Denk- und Herangehensweisen von der individuellen bis zur globalen Handlungsebene zu schaffen. Stimmen die Rahmenbedingungen, ist das adaptive Management ein Werkzeug, mit dessen Hilfe eine Anpassung an Systemänderungen möglich und ein besseres Verständnis über Umweltsysteme geschaffen wird.

Wenn Sie Fragen dazu haben, wenden Sie sich bitte an: